HerzArzt

Ich bin in den 90ern meinem Traum gefolgt und habe mich entschieden, meinen Berufsweg im Gesundheitswesen einzuschlagen. Zivildienst, Ausbildung und zu Beginn des Millenniums dann der Start ins Medizinstudium.

Vor einiger Zeit habe ich an mir beobachtet, was in diesen mittlerweile über 20 Jahren mit mir passiert ist.
Natürlich verändern wir uns alle. Fortwährend.
Aber zu sehen, wie sich der Blickwinkel auf meinen Beruf über die Jahre von idealisiert naiv über tief frustriert zu ausgeglichen nüchtern entwickelt hat, war eindrücklich.

Also habe ich begonnen, ‚HerzArzt‘ zu schreiben. Eine Geschichte über 3 Versionen meinerselbst zu verschiedenen Zeitpunkten meiner beruflichen Laufbahn.

Ob diese Geschichte jemals ihre Leser finden wird, das weiß ich nicht, aber ich habe beschlossen, sie erst einmal hier in einen Blog über den medizinischen Alltag eines Hausarztes einzufügen.

Viel Spass dabei.

HerzArzt

HerzArzt – Prolog

  Prolog von Dr. 2002 Es war der Sommer 1996 und uns schien alles möglich.  Wir waren jung. Zu jung vielleicht um die Tragweite der Gedanken und Entscheidungen zu verstehen, die uns tagtäglich beschäftigten. Daher muss man froh sein, dass wir nicht konstruktiv...

HerzArzt

Ich bin in den 90ern meinem Traum gefolgt und habe mich entschieden, meinen Berufsweg im Gesundheitswesen einzuschlagen. Zivildienst, Ausbildung und zu Beginn des Millenniums dann der Start ins Medizinstudium. Vor einiger Zeit habe ich an mir beobachtet, was in diesen...

Textauszug #notjustsad

Heute.
Heute werde ich.
Heute werde ich aufstehen und duschen. Deshalb wird das ein guter Tag.

Egal was Du bei diesen Worten denkst, nachdem Du meine Geschichte gelesen hast, wirst Du anders darüber denken. Herzlich willkommen in meinem Kopf.

 

„This skull between my ears, that is a bad neighbourhood. I should not be in there alone.“

– Chester Bennington

 

Kapitel 1

5:22 Uhr

Verdammt. Wach.

Es war so verflucht spät heute nacht. Ich weiss nicht mehr, wann ich den Fernseher ausgemacht habe. Ich weiss allerdings genauso wenig, was ich mir angeschaut habe. Irgendwelche Zeichentrickserien glaube ich. Irgendwas mit genug Unterhaltungswert um mich etwas zu fesseln aber gleichzeitig so wenig geistigem Anspruch, dass ich mich nicht in die Handlung denken muss. Im Gegensatz zu den Trickfilmen meiner Kindheit ist das heute sehr schwierig geworden. Heute sind die Handlungsstränge von Kinderserien so viel komplexer geworden. Ich glaube ich erinnere mich doch wieder, was ich geschaut habe. Eine Trickfilmserie über kleine Spielzeugmännchen, die als Ninjas ihre Ausbildung absolvieren und dabei immer wieder die Welt retten. Dabei werden komplexe Dinge wie Ehrgeiz, Stolz, Selbstüberschätzung und zwischenmenschliche Beziehungen mit eingeflochten. Ich habe mich noch gefragt, wie Kinder das erfassen können. Dann wurde mir allerdings auch bewusst, man kann die Serie auch aus einem ganz anderen Blickwinkel anschauen und sich einfach nur mit der kindgerechten Darstellung der Martial Arts zufriedengeben und die actiongeladenen Ninjakämpfe geniessen. Interessant. Ich vermute, dass ist so gemacht, um die Kinder zu fesseln und die Erwachsenen, die ja das eine oder andere Mal mitleiden müssen, nicht zu sehr zu langweilen. Eigentlich spannend, wieviel Gedanken in der Unterhaltungsbranche drinstecken. Wenn wir bei ‚Gedanken‘ sind… warum nochmal mache ich mir eigentlich morgens um halb sechs Gedanken über kleine Spielzeugmännchen, die mit ihrem Sensei ausziehen um das Böse zu besiegen? Habe ich nichts besseres zu tun? Schlafen zum Beispiel? Und dann bricht es wieder mit voller Wucht wieder über mich herein.

Ich bin depressiv.
Ich bin.
Aber depressiv.
Ich.
Ich?

 

Ob ich traurig sei, fragen mich die Menschen, wenn ich darüber rede. Ich antworte oft, dass ich das auch sei.  Und dann fragen sie mich, warum ich denn traurig sei. Es ginge mir doch so gut. Ich hätte doch alles was man sich wünscht und noch mehr… Aber ich greife zu weit vor. 

Im Moment liege ich immer noch unter meiner Bettdecke und sinniere über Spielzeugninjas. Seit gefühlten Ewigkeiten an diesem frühen Morgen kreisen die kleinen Großmäuler durch meine Gedanken. Ewigkeiten.

 

5:25 Uhr

Ich versuche mich zu orientieren, den Gedanken an den blauen, grünen, roten, weissen und goldenen Ninja  sowie deren Sensei und alle fiktiven Bösewichte wegschiebend. 

Mich schaudert auf einmal: Mein Blinkwinkel in den Raum stimmt ganz und garnicht mit dem überein, was ich erwartet habe. Garnicht. Das Verhältnis der Möbel zur Wand, die Höhe der Möbel in Bezug zur Zimmerdecke, alles scheint… anders. Panik legt ihre kalte Hand um meinen Hals. Hatte mein Vater nicht erzählt, so habe sich sein Schlaganfall angefühlt? Ich bin keine 20 mehr. Und richtig gesund gelebt habe ich die letzten Jahre in dieser Hinsicht auch nicht. Verdammt. Ist das jetzt das Ergebnis aller Mühen? Anfang 40 – Hirnschlag – Linse zu – Ende. 

Wie auf Knopfdruck kommen die Großen Fragen in mein Bewusstsein. Wo gehen wir hin? Gibt es ein ‚danach‘? Wenn ja, wie wird das aussehen? Schöner? Grausamer? Himmel und Hölle, ist es das was uns erwartet? Oder driftet mein Geist jetzt langsam ins Nichts? Werde ich immer müder, der Fokus immer unschärfer und am Ende werden alle Gedanken zäh wie Kaugummi? Und dann höre ich als Krönung all der gelebten Jahre und aller Ziele und Wünsche… einfach auf zu sein?

Die Panik greift energischer zu. Todesangst und Angst vor dem was danach kommt oder nicht benebelt meine Gedanken völlig. Keine melancholische Aufarbeitung des Menschen seins oder des Lebens, sondern schlichte unaussprechliche Angst vor dem Tod. 

Am Arsch ‚Hello Darkness my old Friend

 

Ok, erst mal Augen zu. Durch die Nase einatmen, durch den Mund ausatmen. So hat mir das meine beste Freundin beigebracht, wenn sie beobachtet hat, wie ich in Panik geraten bin. 

Nase ein – Mund aus. Nase ein – Mund aus. 

Augen schließen. Reset-Knopf fürs Hirn drücken. 

Nase ein – Mund aus.

 

Ich bin nicht zu Hause!

Das ist der Grund für den verschobenen Blickwinkel. Ich liege weder in meinem Schlafzimmer noch liege ich überhaupt in einem Bett. Stattdessen liege ich auf zwei Matratzen auf dem Boden. Das ist es. Langsam kommt die Erinnerung zu mir zurück. Ich bin nicht zu Hause, sondern im Konferenzraum meines Betriebes. MEINES. Ungewohnt gleichgültig blicke ich auf die Tatsache, dass ich ein EIGENES Geschäft habe. Hat doch irgendwie keine echte Bedeutung. Was bringt das schon, in meiner Lage? Ausser Verantwortung. Die Anerkennung die ich mir wünsche, hat es nie gebracht. Nur den Wunsch noch mehr daraus zu machen. Und mehr. Und mehr. Ich dachte eigentlich mal, ich würde diesen Betrieb nach meinen Vorstellungen führen können. Ein guter Chef sein können. Etwas bewirken und verändern können. 

In all den Jahren seit meiner Gründung habe ich immer eine sehr flache Hierarchie gepflegt. Aus Überzeugung. Und daraus haben sich über die Zeit sehr gute Freundschaften entwickelt. Und Probleme. Vielleicht läge ich garnicht hier, wäre ich diesen Schritt damals nicht gegangen? Vielleicht hätte es einen besseren Weg gegeben? Vielleicht war der Weg in die Selbständigkeit einfach eine völlig falsche Entscheidung. Vielleicht ist das mein grundsätzliches Problem. Entscheidungen. Ich kann keine treffen. Keine richtigen. Soviel Warnungen habe ich in meinem Leben in den Wind geschlagen. Hätte ich nur drauf gehört. Jetzt ist es zu spät. 

Zu spät. Zu spät. Jetzt ist alles viel zu spät.

Der alte ‚Ärzte‘-Song setzt sich sofort in meinem Hirn fest und hallt nach.

 

Nase ein – Mund aus. Nase ein – Mund aus.

Ich KANN Entscheidungen treffen.

Nase ein – Mund aus.

Es WAR der richtige Schritt.

Nase ein – Mund aus.

Aber…

NICHTS ABER. Nase ein – Mund aus.

dochdannisteszuspätzuspät

 

…Fortsetzung folgt…

Textauszug #notjustsad

Textauszug #notjustsad

Heute. Heute werde ich. Heute werde ich aufstehen und duschen. Deshalb wird das ein guter Tag. Egal was Du bei diesen Worten denkst, nachdem Du meine Geschichte gelesen hast, wirst Du anders darüber denken. Herzlich willkommen in meinem Kopf.   „This skull...

#notjustsad

Warum ein Buch über Depression schreiben? Und was haben die social media damit zu tun? Nun, ich hoffe im Lauf meiner Geschichte wird das deutlich.Ich führe eigentlich ein ganz erfolgreiches Leben. Nicht perfekt. Sicher nicht. In der Kleinstadt aufgewachsen,...

#notjustsad

Warum ein Buch über Depression schreiben?

Und was haben die social media damit zu tun?

Nun, ich hoffe im Lauf meiner Geschichte wird das deutlich.
Ich führe eigentlich ein ganz erfolgreiches Leben. Nicht perfekt. Sicher nicht. In der Kleinstadt aufgewachsen, Medizinstudium, eigene Praxis, zwei Burnouts, eine Trennung.
Letztere hat mich in die schlimmste depressive Episode gestürzt, die ich in meinen knapp über 40 Lebensjahren mitgemacht habe. Und ganz ehrlich… egal wie reflektiert man auch ist, im tiefen Tal der Depression verliert man den Willen zu überleben. Und wenn dann niemand da ist… ihr kennt sicher alle mindestens EINE Geschichte, die so endete.

Ich war nicht alleine. 
Und am Ende war es nicht alleine der kleine Kreis an engen und guten Freunden, der mein Weiterleben gesichert hat.
Es waren meine Follower auf Twitter. Obwohl, oder eben weil mich die meisten davon garnicht ‚in reality‘ kennen.

Ich habe so unglaublich viel Zuwendung, aufbauende Worte und objektive Bewertungen meiner Lebenssituation bekommen, dass ich am Ende beschlossen habe, den Hintern wieder hoch zu bekommen und nach vorne zu schauen.

Und wisst Ihr was das erstaunlichste war? Wieviele liebe Menschen plötzlich virtuell an meiner Seite waren, die einen ganz ähnlichen Weg hinter sich hatten.

Da habe ich mich entschieden, es aufzuschreiben. Gedankjen für Gedanken. Wie sich Depression anfühlt, wie ich dort gelandet bin und wie ich den Weg heraus gefunden habe.

Es ist so unfassbar, wie viele falsche Fakten es über Depression gibt und wie viele Menschen schlichtweg nicht damit umgehen können.
Vielleicht kann ich dazu beitragen, hier ein klein wenig zu verändern. Das wäre schon so viel.

Aber bitte nicht wundern, wenn es sich an vielen Stellen konfus liest. Ihr schaut dabei in meinen Kopf. In den Kopf eines Menschen, der verzweifelt versucht, mit seinen rasenden Gedanken Schritt zu halten.

Lest aufmerksam. Vielleicht erkennt Ihr dadurch die Menschen in Eurem Umfeld, die auf dem gleichen Weg sind wie ich. Und vielleicht erkennt Ihrt sie, bevor diese alleine und verzweifelt eine verheerende Entscheidung treffen.

Dann haben sich diese Zeilen schon gelohnt.

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